Andrea Wiedner, lebt mit Multipler Sklerose (MS)
Es gibt Einschränkungen bedingt durch eine chronische Krankheit, die nicht auf den ersten Blick gesehen werden und auffallen. Und dennoch dem Betroffenen enge Grenzen setzen und auch ausgrenzen:
Über mein Handicap:
Seit 1998 lebe ich mit MS, die zurzeit zumindest kaum körperliche Ausfälle hat, meine Leistungsfähigkeit insgesamt aber sehr einschränkt. Je nach Tagesform, Tageszeit und Temperatur (ich brauche es kalt!) können die kognitiven Fähigkeiten sehr abnehmen und reduziert sein, also zum Beispiel die Konzentration und Aufnahmefähigkeit, Zuhören- und Antworten können, das rasche Reagieren. Gedankengänge werden mühsam und benötigen unendlich viel Energie. Die Aufmerksamkeit lässt deutlich nach und damit auch Lust, Elan, Leichtigkeit zu Veranstaltungen zu gehen, sich einzubringen, überhaupt mit anderen Menschen zusammen zu sein. So gerne, wie ich das sonst bin! Allein schon ein erhöhter Geräuschpegel, laute Musik, konzentriert im Gespräch zu sein, verbraucht meine Kräfte rasch. Daraus ergibt sich für mich, dass ich einen ganz klar strukturierten Tagesrhythmus einhalten muss. Meinen eigenen Rhythmus! Mit ganz regelmäßigen Schlaf- und Essenszeiten, mit gutem Planen von Terminen und Aktivitäten, mit der bewussten Entscheidung, nicht ständig und überall erreichbar zu sein. So habe ich gelernt, mit meiner Erkrankung und ihren Einschränkungen zu leben, sie zu akzeptieren und das beste daraus zu machen und trotzdem in vielen Dingen aktiv zu bleiben, zum Beispiel in meiner Gemeinde.
Was mir hilft:
Als hilfreich erlebe ich Menschen, die sich nicht nur mit einem oberflächlichen Blick begnügen, sondern versuchen, mich wirklich zu verstehen, die tiefer sehen, die meine Lebenswelt und Möglichkeiten wahrnehmen. Die sehen, wenn mir am Abend eine Sitzung schwerfällt und mich dann nicht auch noch zu einem spontanen Gebet auffordern. Die sich freuen, wenn ich zum Bibelgesprächskreis am Ende eines Tages komme, auch ohne ein Wort zu sagen und mich groß zu beteiligen, weil das eigene Produzieren von Gedanken die Kräfte übersteigt, das Zuhören und Dabeisein aber wertvoll sind. Die keine Erklärung brauchen und mich missverstehen, wenn ich dann und wann auch schon mal leise eher gehe. Die mich nicht immer und immer wieder zum Kaffeetrinken nachmittags einladen, weil ich dann schlafen muss. Und mir auch keinen Platz an ihrem schönen Kaminofen anbieten, wo mich die Wärme welken lässt wie eine Blume.
Was ich mir wünsche:
Froh bin ich, wenn ich mich ganz natürlich und selbstverständlich einbringen kann. Vielleicht mit einer anderen Lebensnormalität, aber mit vielen Fähigkeiten! Froh bin ich auch, wenn sogar manche Eigenschaften und Lebenserfahrungen gerade auch durch die Erkrankung gezielt genutzt und als Bereicherung im Miteinander gesehen werden. So wird gegenseitige Wertschätzung gelebt!
Dr. med. Andrea Wiedner, Jahrgang 1966, ledig, EFG Herford, ist Ärztin für Innere Medizin und Nephrologie. Seit 1998 ist sie an MS erkrankt, berentet seit 2003 und heute Ansprechpartnerin des Christlichen MS-Netzwerkes.
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