Manfred Bönig über sein Leben ohne Augenlicht

"Erblindung  ist ein grausames Schicksal", sagt der 72-jährige Pastor im Ruhestand. "Ohne Augen gibt es nur noch ein Leben auf dem Abstellgleis: Wertlos, nutzlos, aussichtslos. Sicherlich: Es gibt heute etliche Hilfen für jede Art von Behinderung, aber letztlich kann man ihr Schicksal in den meisten Fällen dadurch grundsätzlich nicht beheben."

Über mein Handicap:

Manfred Boenig PortraitfotoSeit über vierzig Jahren bin ich auf einem Auge erblindet. Das hat mich eigentlich nicht besonders eingeschränkt. Mit nur einem Auge konnte ich uneingeschränkt am Leben teilhaben. Doch seit gut einem Jahr hat sich das dramatisch verändert: Auch das bisher gesunde Auge ist jetzt erblindet.

Ich kann nur noch schemenhaft hell und dunkel unterscheiden. Ich kann nicht mehr lesen und schreiben. Ich kann nicht mehr alleine laufen. Ich bin vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Ich kann weder das Gesicht meiner Frau noch meiner Kinder und Enkelkinder, noch meine Hand vor Augen erkennen.
Alles, was ich einmal gerne tat – wandern, Rad fahren, Auto fahren, lesen, am Computer arbeiten, fotografieren, Filme machen, in fremde Länder reisen – ist mir nicht mehr möglich.

Es ist mir, als wäre ich lebendig begraben, eingeschlossen in einen dunklen, lichtlosen Raum. Durch Hören und Tasten nehme ich das Leben um mich herum zwar noch wahr, aber ich bin doch von allem ohne Augenlicht ziemlich ausgeschlossen.

Über meinen Glauben:

Ist schon das körperliche Leid eines Blinden kaum zu verkraften, so sind die seelischen und geistlichen Fragen nicht weniger bedrängend. Als Christ bin ich davon überzeugt, dass Gott mein Leben in seinen Händen hält, mich führt und von allen Seiten umgibt (Psalm 139).

Damit hatte ich bisher keine Probleme. Aber seit meiner Erblindung frage ich: Warum, mein Gott, warum? Warum, wozu und weshalb bin ich erblindet? Diese Frage bleibt bis heute offen und unbeantwortet. Ich muss lernen, damit zu leben und mich damit abzufinden. Paulus schreibt einmal im Römerbrief: Gottes Wege, seine Fügungen und seine Entscheidungen sind unerforschlich, unergründlich, unbegreiflich.

Welche Barrieren mich am meisten stören:

In unserer Gesellschaft, im öffentlichen Leben, erfährt man oftmals nur eine mitleidlose Gleichgültigkeit und kaum Verständnis. Oft erlebe ich unterwegs, dass man als Blinder angerempelt wird oder man um die ausgewiesenen Behindertenplätze im Zug oder im Bus streiten muss – und dies, obwohl man ein Blindenarmband trägt. Das kümmert viele Leute einfach nicht. Manchmal aber, wenn auch sehr selten, erfährt man liebevolle Hilfe und viel Verständnis.  

Es gibt Tage, da findet man sich mit seinem Leid und Schicksal ab. Aber da sind auch immer wieder Stunden, wo man Gott wie einst Hiob fragt: Warum gibst Du mir keine Antwort? Besonders anfechtungsreich sind jene Verheißungen im Neuen Testament, in denen Jesus verspricht, unser Beten – worum ihr auch immer bittet – zu erhören, wie zum Beispiel in Matthäus 7, 7–11 oder in Markus 11, 24–25 oder in Matthäus 18, 19–20. Trotz allem Glauben, Beten und Hoffen auf ein Wunder oder zumindest auf eine Verbesserung der Situation verändert sich nichts. In solchen Augenblicken neigt man dazu, Gottes Liebe und Allmacht, seine Güte und Barmherzigkeit zu hinterfragen.
Sehr schmerzhaft sind dann viele fromme Sprüche, Ratschläge und Redensarten von Gläubigen, die gewissermaßen im warmen Zimmer sitzen und unbekümmert über die Kälte reden. Manchmal denke ich, es wäre hilfreicher, wenn sie ihren Mund hielten und mich in aller Stille mit ihren Gebeten begleiten würden.

Was ich mir wünsche:

Was hilft und zum Leben ermutigt, ist jede kleine Barmherzigkeit. Ich bin sehr dankbar, dass ich dies in meiner Familie durch meine liebe Frau und unsere Kinder erfahre. Ohne ihre barmherzige Zuwendung in Wort und Tat wäre mein Lebensmut schon längst auf dem Nullpunkt. Aber Gott sei Dank für alles, was ich durch sie an Lebensermutigung erfahre.

Mein Fazit:

Ich weiß, dass mir in der Nachfolge Jesu kein leidfreies und konfliktloses Leben versprochen ist. Aber ich glaube, dass Jesus Christus mich im Leid und mit der Not meines Lebens nicht alleine lässt, sondern mich immer wieder ermutigt, mein Vertrauen in seine Liebe und Hilfe nicht aufzugeben. Ohne ihn hätte mein Leben keine Zuversicht und Hoffnung.

Auch wenn ich Gottes Weg mit mir nicht mehr verstehe, will ich seine Hand vertrauensvoll festhalten und glauben, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken (Römer 8,28). In den guten Tagen meiner Nachfolge Jesu habe ich bekannt: Jesus Christus ist Inhalt und Ziel meines Lebens. Daran will ich auch in den schweren Tagen meines Lebens festhalten. Gott helfe mir dazu.

Manfred Bönig lebt ist Schneverdingen.


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